Änderung eines Einkommensteuerbescheids nach § 175b Abs. 1 AO

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Nach der am 13.6.2024 veröffentlichten Entscheidung des BFH vom 20.2.2024, IX R 20/23, ist die Änderung eines Einkommensteuerbescheids nach § 175b Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) auch zulässig, wenn die unzutreffende Berücksichtigung der von einem Dritten übermittelten Daten auf einen Fehler der Finanzbehörde zurückzuführen ist. 

Sachverhalt: 

Die Kläger sind Eheleute, die im Veranlagungszeitraum 2018 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Zur Steuernummer des Klägers wurden dem Finanzamt durch den ehemaligen Arbeitgeber des Klägers am 23.01.2019 zwei Datensätze (elektronische Lohnsteuerbescheinigungen) übermittelt, die unter anderem die folgenden Angaben enthielten: 

Bescheinigung 1 

1. Dauer des Dienstverhältnisses: 01.01.-31.08. 

3. Bruttoarbeitslohn einschl. Sachbezüge ohne 9 und 10: 34.303,16 € 

19. Stpfl. Entschädigungen/Arbeitslohn für mehrere Kalenderjahre, die nicht ermäßigt besteuert wurden - in 3. enthalten: 9.000,00 € 

Bescheinigung 2 

1. Dauer des Dienstverhältnisses: 01.12.-31.12. 

3. Bruttoarbeitslohn einschl. Sachbezüge ohne 9 und 10: 2.273,01 € 

Im Einkommensteuerbescheid 2018 vom 25.9.2019 berücksichtigte das Finanzamt (erklärungsgemäß) einen Bruttoarbeitslohn des Klägers in Höhe von 27.576 € (rechnerisch: 34.303,16 € + 2.273,01 € ./. 9.000,00 €). Von dem ermittelten zu versteuernden Einkommen wurde unter Berücksichtigung der Entschädigung zuzurechnender Werbungskosten in Höhe von 251 € ein Betrag von 8.749 € nach § 34 Abs. 1 EStG ermäßigt besteuert. 

Nach einem verwaltungsinternen Hinweis auf die Behandlung der ermäßigt besteuerten Entschädigungen im Sinne des § 34 EStG erließ das Finanzamt am 20.5.2021 einen geänderten Einkommensteuerbescheid 2018, in welchem es einen Bruttoarbeitslohn des Klägers in Höhe von 36.576 € berücksichtigte. Wie im Ausgangsbescheid vom 25.9.2019 wurde ein Betrag in Höhe von 8.749 € ermäßigt besteuert. Auf Seite 1 dieses Änderungsbescheids heißt es unter „Art der Festsetzung“, dass der Bescheid nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO geändert worden sei. Im Erläuterungstext hieß es, dass die übermittelten Lohnsteuerbescheinigungen einen Bruttoarbeitslohn in Höhe von 36.576 € ausweisen würden und die Entschädigungszahlung, indem sie bisher ausschließlich als Entschädigung und nicht auch beim Bruttoarbeitslohn berücksichtigt worden sei, der Besteuerung entzogen worden sei. 

Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das FG Münster entschied mit Urteil vom 14.8.2023 (8 K 294/23 E, EFG 2023, 1592), das Finanzamt sei zur Änderung des ursprünglichen Einkommensteuer bescheids nach § 175b AO befugt gewesen und sah die fehlerhaften Angaben der Änderungsnorm als unerheblich an. Hiergegen wendet sich die Revision der Kläger. 

Entscheidungsgründe: 

Die Revision hat keinen Erfolg. Nach Ansicht des erkennenden Senats hat das vorinstanzliche FG zu Recht entschieden, dass das Finanzamt den Einkommensteuerbescheid vom 25.9.2019 nach § 175b Abs. 1 AO korrigieren musste. 

Nach § 175b Abs. 1 AO ist ein Steuerbescheid aufzuheben oder zu ändern, soweit von der mitteilungspflichtigen Stelle an die Finanzbehörden übermittelte Daten im Sinne des § 93c AO bei der Steuerfestsetzung nicht oder nicht zutreffend berücksichtigt wurden. Das FG hat zutreffend angenommen, dass es sich bei den vom (ehemaligen) Arbeitgeber des Klägers nach § 41b Abs. 1 Satz 2 EStG übermittelten elektronischen Lohnsteuerbescheinigungen um übermittelte Daten im Sinne des § 93c AO handelt. Nicht berücksichtigt sind übermittelte Daten, wenn sie nicht ausgewertet oder verarbeitet wurden und damit nicht Eingang in die Steuerfestsetzung gefunden haben. Unerheblich ist, worauf die unzutreffende Berücksichtigung der übermittelten Daten durch die Finanzbehörde zurückzuführen ist. Es kommt weder auf eine Verletzung der Mitwirkungspflichten durch den Steuerpflichtigen, einen Schreib- oder Rechenfehler des Steuerpflichtigen noch auf ein mechanisches Versehen der Finanzbehörde nach § 129 AO oder einen Fehler der Finanzbehörde bei der Tatsachenwürdigung oder Rechtsanwendung an (BT-Drucks. 18/7457, S. 88; Klein/Rüsken, AO, 17. Aufl., § 175b Rz 5; Loose in Tipke/Kruse, § 175b AO Rz 3). 

Der ehemalige Arbeitgeber des Klägers hat die Daten in den beiden Lohnsteuerbescheinigungen am 23.1.2019 vollständig und zutreffend übermittelt. Das Finanzamt hat jedoch nicht die steuerlich zu treffenden Schlüsse gezogen. Die steuerrechtliche Behandlung im Ausgangsbescheid vom 25.9.2019 war fehlerhaft. Eine teleologische Reduktion des Wortlauts der Norm kommt nicht in Betracht. Gerade im vorliegenden Fall besteht für eine teleologische Reduktion zudem deswegen kein Anlass, weil die Kläger in der Anlage N des Klägers keine korrekten Daten angegeben hatten (vgl. auch BFH v. 8.9.2021, X R 5/21, BStBl. II 2022, 398, Rz 33). Denn sie haben die Entschädigung in Höhe von 9.000 € nicht in den Bruttolohn einbezogen, obwohl die Entschädigung nicht vom Arbeitgeber ermäßigt besteuert worden war. 

Schließlich hat das FG zutreffend angenommen, dass die fehlerhafte Angabe der Änderungsnorm des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO unter „Art der Festsetzung“ nicht zur Rechtswidrigkeit des geänderten Einkommensteuerbescheids führen. Für die Rechtmäßigkeit eines Bescheids ist grundsätzlich nicht die zu seiner Begründung herangezogene Vorschrift maßgebend. Es kommt allein darauf an, ob der Bescheid zum Zeitpunkt seines Ergehens durch eine Befugnisnorm gedeckt war (vgl. BFH v. 25.9.1996, III R 53/93, BStBl. II 1997, 269, m.w.N.). 

Beratungshinweis: 

Die heutige Besprechungsentscheidung zum Verfahrensrecht beschäftigt sich mit der Anwendung und Auslegung der relativ jungen Korrekturvorschrift des § 175b AO. Der Gesetzgeber hat mit der Einführung des § 175b AO durch das Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens vom 18.7.2016 (BStBl I 2016, 694) im Zuge der zunehmenden Automatisierung und Digitalisierung des Besteuerungsverfahrens eine weitergehende Aufhebung oder Änderung materiell fehlerhafter Steuerbescheide ermöglichen wollen. Die Vorschrift schafft eine neue einheitliche Korrekturmöglichkeit für Steuerbescheide, die auf Grund einer fehlenden oder fehlerhaften Auswertung übermittelter Daten im Sinne des § 93c AO erlassen worden seien. Zugleich erweitert § 175b AO den Anwendungsbereich auf jegliche materielle Unrichtigkeit, einerlei ob diese durch eine offenbare Unrichtigkeit (§§ 129, 173a AO) verursacht worden sei oder auf falscher Rechtsan wendung oder unrichtiger Tatsachenwürdigung beruht. 

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Der Autor: Dr. Alexander Kersten - Rechtsanwalt, Steuerberater und geschäftsführender Partner bei STEIN Rechtsanwälte Steuerberater in Köln. Der Beitrag wurde mit freundlicher Genehmigung des Stollfuß Verlags – Zweigniederlassung der Lefebvre Sarrut GmbH – zur Verfügung gestellt. Der Beitrag wurde im Newsletter eNews Steuern, Nr. 24/2024 vom 18.06.2024 veröffentlicht