Die Erweiterung einer Anschlussprüfung

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Nach der am 22.12.2022 veröffentlichten Entscheidung des BFH v. 3.8.2022, XI R 32/19 bedarf die Erweiterung einer nach § 4 Abs. 3 Satz 3 BpO 2000 zulässigen ersten Anschlussprüfung von einem auf drei Jahre keiner besonderen Begründung. Für die gerichtliche Überprüfung von Ermessensentscheidungen sind auch bei Prüfungsanordnungen die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung maßgeblich.

Sachverhalt:

Bei der Klägerin, einer GmbH, fand für die Zeiträume 2008 und 2009 auf der Grundlage der Prüfungsanordnung vom 15.11.2013 eine Außenprüfung statt. Noch während diese Prüfung andauerte, erging am 1.12.2015 eine weitere Prüfungsanordnung für die Jahre 2010 bis 2012, die die Klägerin nach erfolglosem Einspruch mit Klage anfocht. Das FG gab der Klage mit rechtskräftigem Urteil v. 21.2.2017 statt und hob die Prüfungsanordnung hinsichtlich der Jahre 2011 und 2012 auf. Die Klägerin ist kein Großbetrieb i. S. d § 3 der Betriebsprüfungsordnung v. 15.3.2000 - BpO 2000 - (BStBl I 2000, 368).

Mit einer weiteren - der streitgegenständlichen - Prüfungsanordnung v. 4.12.2017 verfügte das Finanzamt, dass die am 1.12.2015 angeordnete Außenprüfung (für das Jahr 2010) auf die Jahre 2011 und 2012 erweitert werde. Es sei - so die Begründung des Finanzamts - mit nicht unerheblichen Steuernachforderungen zu rechnen. Die im Rahmen der Prüfung der Jahre 2008 und 2009 festgestellten Mängel der Ordnungsgemäßheit der Buchführung hätten sich auch für den Zeitraum 2010 bestätigt. Entsprechende steuerliche Würdigungen seien daher für die Jahre 2011 und 2012 ebenso wenig auszuschließen.

Gegen diese Prüfungsanordnung wandte sich die Klägerin mit dem Einspruch. Die Außenprüfung für die Jahre 2008 und 2009 wurde im Laufe des Einspruchsverfahrens am 8.6.2018 abgeschlossen. Das Finanzamt wies anschließend den Einspruch mit Einspruchsentscheidung v. 12.3.2019 als unbegründet zurück. Daraufhin wandte sich die Klägerin an das FG Berlin-Brandenburg. Dort wurde die Klage mit Urteil v. 11.9.2019 (3 K 3090/19, EFG 2020, 149) abgewiesen. Hiergegen wendet sich die Revision der Klägerin.

Entscheidungsgründe:


Die Revision hat keinen Erfolg. Nach Ansicht des erkennenden Senats bedarf die Erweiterung einer nach § 4 Abs. 3 Satz 3 BpO 2000 zulässigen ersten Anschlussprüfung von einem auf drei Jahre keiner besonderen Begründung.


Anschlussprüfungen sind nach § 4 Abs. 3 Satz 3 BpO 2000 zulässig. Weder der AO noch der BpO 2000 ist zu entnehmen, dass Außenprüfungen nur in einem bestimmten Turnus oder mit zeitlichen Abständen erfolgen dürfen (vgl. z. B. BFH v. 15.6.2016, III R 8/15, BStBl II 2017, 25; v. 15.10.2021, VIII B 130/20, BFH/NV 2022, 97). Dies gilt nicht nur für Großbetriebe, sondern auch für Mittelbetriebe sowie Klein- und Kleinstbetriebe. Danach sind Anschlussprüfungen grundsätzlich zulässig; weitere Anschlussprüfungen sind nicht ausgeschlossen. § 4 Abs. 3 Satz 3 BpO 2000 lässt Anschlussprüfungen nicht nur ausdrücklich zu, sondern macht sie auch nicht von besonderen Voraussetzungen abhängig. Da bei der Klägerin aufgrund der Anordnung v. 15.11.2013 die Jahre 2008 bis 2009 geprüft wurden, handelt es sich bei der am 1.12.2015 bestandskräftig angeordneten Prüfung des Jahres 2010 um eine erste Anschlussprüfung. Die Erweiterung des Prüfungszeitraums dieser ersten Anschlussprüfung durch die Prüfungsanordnung v. 4.12.2017 ist rechtmäßig.


Dem Erlass der streitgegenständlichen Anordnung der Erweiterung des Prüfungszeitraums v. 4.12.2017 steht die Rechtskraft des Urteils v. 21.2.2017 nicht entgegen. Das FG hat damit zwar die vorausgegangene Prüfungsanordnung v. 15.11.2013 hinsichtlich des hier gleichfalls betroffenen Prüfungszeitraums der Jahre 2011 und 2012 aufgehoben. Dies ist nach den Feststellungen des FG in der den Streitfall betreffenden Vorentscheidung jedoch allein deswegen geschehen, weil Gründe für die Erweiterung des Prüfungszeitraums i.S.d. § 4 Abs. 3 Satz 2 BpO 2000 nicht vorgebracht worden waren. Nur auf diese Begründung erstreckt sich die Rechtskraft dieses Urteils i. S. d. § 110 Abs. 1 Satz 1 FGO (vgl. z. B. Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 110 FGO Rn. 59 ff.).

Wie die Aufhebung eines Verwaltungsakts wegen eines Verfahrensmangels nicht den Erlass eines neuen, ggfs. auch inhaltsgleichen Verwaltungsakts in einem fehlerfreien Verfahren hindert, so steht auch die Aufhebung der Anordnung der Erweiterung des Prüfungszeitraums durch ein rechtskräftiges Urteil dem Erlass einer neuen Prüfungsanordnung nicht im Wege (vgl. BFH v. 7.11.1985, IV R 6/85, BStBl II 1986, 435; v. 20.10.1988, IV R 104/86, BStBl II 1989, 180; v. 14.9.1993, VIII R 56/92, BFH/NV 1994, 677). Eine echte Kassation einer Prüfungsanordnung, wie sie in Gestalt des FG-Urteils v. 21.2.2017 vorliegt, hindert nicht den Erlass einer neuen Prüfungsanordnung für die betreffenden Besteuerungszeiträume (vgl. auch Gräber/Ratschow, FGO, 9. Aufl., § 110 Rn. 47). Darüber hinaus hat das Finanzamt auch deshalb nicht gegen § 4 Abs. 3 Satz 2 BpO 2000 verstoßen, weil jedenfalls im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung am 12.3.2019 der von dieser Verwaltungsregelung erfasste Fall eines mehr als drei zusammenhängende Besteuerungszeiträume umfassenden Prüfungszeitraums nicht (mehr) gegeben war.

Beratungshinweis:

Die heutige Besprechungsentscheidung befasst sich mit der Erweiterung einer ersten Anschlussbetriebsprüfung, die nach Entscheidung des XI. Senats des BFH auch bei Mittelbetrieben sowie Klein- und Kleinstbetrieben möglich ist. Nach ständiger Rechtsprechung kommt der Verwaltung bei der Prüfung von Betrieben ein relativ weitgehender (Auswahl-)Ermessensspielraum zu, der durch die Regelungen in der BpO nur geringfügig eingeschränkt wird. So hat die Finanzverwaltung in § 4 Abs. 2 Satz 1 BpO 2000 hinsichtlich des Prüfungsumfangs der zu prüfenden Betriebe ihr Auswahlermessen dahingehend ausgeübt, dass für Großbetriebe i. S. d. § 3 BpO 2000 der Prüfungszeitraum lückenlos an den vorhergehenden anschließen soll. Bei anderen Betrieben soll der Prüfungszeitraum dagegen nach § 4 Abs. 3 Satz 1 BpO 2000 nicht mehr als drei zusammenhängende Besteuerungszeiträume umfassen. Diese Beschränkung der Prüfung auf drei Besteuerungszeiträume gilt nach § 4 Abs. 3 Satz 2 BpO 2000 jedoch nicht, wenn mit nicht unerheblichen Änderungen der Besteuerungsgrundlagen zu rechnen ist oder wenn der Verdacht einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit besteht.

Für die Praxis lässt sich daraus ableiten, dass die mit der Verwaltung (ggfs. streitig) erzielte Einigung in der Vor-BP, die dann idealerweise auch für künftige Zeiträume trägt, einer Auseinandersetzung über die Rechtmäßigkeit der Prüfungsanordnung der Anschluss-BP vorzuziehen ist.

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Der Autor: Dr. Alexander Kersten - Rechtsanwalt, Steuerberater und geschäftsführender Partner bei STEIN Rechtsanwälte Steuerberater in Köln

Der Beitrag wurde mit freundlicher Genehmigung des Stollfuß Verlags – Zweigniederlassung der Lefebvre Sarrut GmbH – zur Verfügung gestellt. Der Beitrag wurde im Newsletter eNews Steuern, Nr. 01/2023 vom 09.01.2023 veröffentlicht.