Der wirtschaftlich einheitliche Erwerb nach § 8b Abs. 4 Satz 6 KStG

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Nach der am 13.6.2024 veröffentlichten Entscheidung des BFH vom 13.3.2024, I R 30/21, kann die in § 8b Abs. 4 Satz 6 KStG angeführte Beteiligungsschwelle (10 % des Grund- oder Stammkapitals) durch einen aus Sicht des Erwerbers wirtschaftlich einheitlichen Erwerbsvorgang (hier: Erwerb in einer notariellen Urkunde) auch dann erreicht werden, wenn an diesem Vorgang mehrere Veräußerer beteiligt sind (Bestätigung des Senatsurteils vom 6.9.2023, I R 16/21, BFH/NV 2024, 339). 

Sachverhalt: 

An der ABC-GmbH (GmbH) waren die drei Gesellschafter A, B und C beteiligt. Mit notarieller Urkunde vom 25.2.2015 übertrugen A, B und C diese Geschäftsanteile von zweimal 3,27 % beziehungsweise einmal 3,46 % (insgesamt 10 %) entgeltlich auf die Klägerin, ebenfalls eine GmbH. Mit weiterer, in der Zählung unmittelbar anschließender notarieller Urkunde desselben Notars vom selben Tag übertrugen A, B und C auch ihre (restlichen) GmbH-Geschäftsanteile zu je 25 % im Wege eines qualifizierten Anteilstauschs auf die Klägerin. Damit hielt die Klägerin seit dem 25.2.2015 insgesamt 85 % der Geschäftsanteile der GmbH. 

Auf der Grundlage eines Gesellschafterbeschlusses vom März 2015 nahm die GmbH eine Gewinnausschüttung an die Klägerin (bezogen auf die 85% der Geschäftsanteile) vor. In den Steuererklärungen der Klägerin für das Streitjahr wurde dieser Bezug als nach § 8b Abs. 1, 5 KStG steuerfrei (weder einkommens- noch gewerbeertragserhöhend) behandelt. Es ergingen am 10.4.2017 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung entsprechende Bescheide über die Körperschaftsteuer und den Gewerbesteuermessbetrag. 

Nach einer Außenprüfung änderte das Finanzamt die Bescheide (Änderungsbescheide vom 30.4.2018). Hierbei wurde die Steuerfreistellung (95 %) der von der GmbH bezogenen Dividende in 2015 rückgängig gemacht, da nach Auffassung der Verwaltung die Anteilsübertragungen getrennt zu betrachten sind und der durch die erste notarielle Urkunde vollzogene Erwerb von zweimal 3,27 % beziehungsweise einmal 3,46 % (insgesamt 10 %) der Geschäftsanteile jeweils nicht die in § 8b Abs. 4 Satz 6 KStG niedergelegte 10 %-Grenze erreiche. 

Nach erfolglosem Einspruch erhob die Klägerin Klage vor dem Sächsischen Finanzgericht (FG), das dieses mit Urteil vom 13.10.2020 (8 K 666/20, EFG 2022, 607) stattgab. Hiergegen wendet sich die Revision der Verwaltung. 

Entscheidungsgründe: 

Die Revision ist unbegründet. Das vorinstanzliche FG ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass (auch) der Erwerb der GmbH-Geschäftsanteile durch die Klägerin in Höhe von zweimal 3,27 % beziehungsweise einmal 3,46 % jedenfalls deshalb dem Tatbestand des § 8b Abs. 4 Satz 6 KStG unterfällt, weil sich bereits dieser Erwerb aus Sicht der erwerbenden Klägerin wirtschaftlich als einheitlicher Erwerbsvorgang von 10 % der Geschäftsanteile darstellt (s. insoweit allgemein Senatsurteil vom 6.9.2023, I R 16/21, BFH/NV 2024, 339). 

Der erkennende Senat hat in dem vorbezeichneten Urteil ausgeführt, dass sowohl die Entstehungs geschichte als auch der Normzweck des § 8b Abs. 4 Satz 6 KStG dafür sprechen, dass jedenfalls der wirtschaftlich einheitliche Erwerb einer Beteiligung von mindestens 10 % zur Tatbestandserfüllung der Ausnahmeregelung des § 8b Abs. 4 Satz 6 KStG ausreicht. Es ist insoweit nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber bezogen auf den unterjährigen Erst- oder Hinzuerwerb einer Beteiligung an die genannte Grenze anknüpft und die den Steuerpflichtigen begünstigende Rückwirkungsregelung in § 8b Abs. 4 Satz 6 KStG so ausgestaltet, dass auf den einzelnen Erwerb abgestellt wird. Allerdings kommt es auf die Sicht des Erwerbers und angesichts des Ausnahmecharakters des § 8b Abs. 4 KStG (s. Senatsurteil vom 6.9.2023, I R 16/21, BFH/NV 2024, 339) darauf an, ob durch den Erwerb der Beteiligung von mindestens 10 % ein unternehmerischer Einfluss auf die Entscheidungen bei der Kapitalgesellschaft ausgeübt werden kann oder nicht. Das hängt aber allein von dem Umfang der erworbenen Beteiligung ab. Deshalb muss es jedenfalls ausreichen, wenn die maßgebliche Beteiligung von mindestens 10 % aus Erwerbersicht in einem wirtschaftlich einheitlichen Vorgang aufgrund eines einheit lichen Erwerbsentschlusses in kausalem und zeitlichem Zusammenhang erworben wird. 

Wendet man diese Grundsätze auf den Streitfall an, liegt ein solcher wirtschaftlich einheitlicher Vorgang im Sinne eines einheitlichen Erwerbsentschlusses in kausalem und zeitlichem Zusammenhang vor. Nach den bindenden Feststellungen des FG ist dieser Erwerb ebenfalls in einer einheitlichen notariellen Urkunde und auf einen einheitlichen Erwerbszeitpunkt erfolgt. Dies lässt in ausreichender Klarheit auf einen einheitlichen Erwerbsentschluss schließen. Der danach aus der Sicht der erwerbenden Klägerin wirtschaftlich einheitliche Erwerbsvorgang von insgesamt 10 % erreicht die in § 8b Abs. 4 Satz 6 KStG genannte Erwerbsschwelle. Hinzu kommt, dass die Klägerin in aufeinander folgenden notariellen Urkunden vom 25.2.2015 von denselben Veräußerern/Übertragern, nämlich A, B und C, zunächst die genannten 10 % der Geschäftsanteile und sodann im Wege des Anteilstausches weitere Geschäftsanteile von je 25 % erworben hat. Auf Grundlage der Feststellungen des FG standen diese Erwerbe erkennbar sowohl ? mit Blick auf den Erwerb von denselben Personen sowohl in kausalem als auch - mit Blick auf die unmittelbar aufeinander folgenden notariellen Urkunden - in zeitlichem Zusammenhang. Darüber hinaus ist auch insoweit von einem einheitlichen Erwerbsentschluss auszugehen. Insgesamt wurde von der Klägerin im Streitjahr aufgrund einheitlichen Erwerbsvorgangs ein An teilspaket in Höhe von insgesamt 85 % (zweimal jeweils 28,27 % beziehungsweise einmal 28,46 %) erworben. Auf dieser Grundlage ist die an die Klägerin ausgeschüttete Dividende bei der Ermittlung des Einkommens außer Ansatz zu lassen (§ 8b Abs. 1 Satz 1 KStG). 

Beratungshinweis: 

Der heutige Besprechungsfall zur Körperschaftsteuer behandelt die Anwendbarkeit der Ausnahmeregelung des § 8b Abs. 4 Satz 6 KStG zum steuerbefreienden Erreichen der Beteiligungsschwelle beim sog. Blockerwerb. Der erkennende I. Senat des BFH lässt die Ausnahme zugunsten der Klägerin mit Verweis auf seine aktuelle Rechtsprechung (Senatsurteil vom 6.9.2023, I R 16/21, vgl. Kersten, eNews 2/2024 v. 16.1.2024) zu und stärkt so weiter die Rechte der Steuerpflichtigen und Unternehmen. 

Der Autor: Dr. Alexander Kersten - Rechtsanwalt, Steuerberater und geschäftsführender Partner bei STEIN Rechtsanwälte Steuerberater in Köln. Der Beitrag wurde mit freundlicher Genehmigung des Stollfuß Verlags – Zweigniederlassung der Lefebvre Sarrut GmbH – zur Verfügung gestellt. Der Beitrag wurde im Newsletter eNews Steuern, Nr. 24/2024 vom 18.06.2024 veröffentlicht