Die Auslegungsfähigkeit eines Einspruchs

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Nach der am 8.2.2024 veröffentlichten Entscheidung des BFH vom 12.10.2023, V R 42/21, ist ein von einem fachkundigen Bevollmächtigten eingelegter Einspruch, der die angefochtenen Bescheide eindeutig und abschließend bezeichnet, nicht dahingehend auslegungsfähig, dass auch ein weiterer - im Einspruchsschreiben nicht benannter - Steuerbescheid angefochten werden soll.


Sachverhalt:


Der Kläger begehrte den Vorsteuerabzug aus dem Erwerb einer Photovoltaikanlage im Oktober 2009. Zu diesem Zweck beantragte er im November 2010, vertreten durch eine Steuerberaterin, den Abzug der Vorsteuern gemäß der eingereichten Umsatzsteuer-Voranmeldung für den Monat Oktober 2009. Dies lehnte das Finanzamt mit Bescheid vom 7.12.2010 ab. Ebenfalls abweichend von der vom Kläger am 8.12.2010 eingereichten Umsatzsteuerjahreserklärung für 2009 setzte das Finanzamt die Umsatzsteuer für 2009 mit einem unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Bescheid vom 22.12.2010 ohne Berücksichtigung des Vorsteuerabzugs fest.


Gegen die Ablehnung betreffend die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für Oktober 2009 legte der Kläger, vertreten durch seine Steuerberaterin, mit Schreiben vom 4.1.2011 Einspruch ein. Der Betreff des Einspruchsschreibens beinhaltete die Steuernummer des Klägers, die Bezeichnung des Ablehnungsbescheids (nicht aber des Umsatzsteuerjahresbescheids 2009), Name und Anschrift des Klägers sowie den Text „Antrag auf Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für den Monat 10-2009“. Im Einspruchsschreiben führte die Steuerberaterin aus, „gegen den o.a. Bescheid lege ich hiermit Einspruch ein. Der Einspruch richtet sich gegen die Nichtanerkennung der Rechnungen für den Vorsteuerabzug.“


Das Finanzamt wies mit Einspruchsentscheidung vom 12.3.2018 den Einspruch „gegen die Ablehnung des Antrages auf Festsetzung der Umsatzsteuer Oktober 2009 in Gestalt des Umsatzsteuerbescheides 2009 vom 22.12.2010“ als unbegründet zurück. Als Anlage zur Einspruchsentscheidung übersandte das Finanzamt am 16.3.2018 eine Umsatzsteuerfestsetzung für 2009 in unveränderter Höhe. Die hier gegen gerichtete Klage hatte keinen Erfolg (Thüringer Finanzgericht v. 23.11.2021, 3 K 219/18, EFG 2022, 202). Daraufhin wandte sich der Kläger an den BFH.


Entscheidungsgründe:


Die Revision bleibt für den Kläger im Ergebnis ohne Erfolg. Zwar führt sie zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit das FG die Klage gegen den auf den Umsatzsteuerjahresbescheid 2009 vom 22.12.2010 bezogenen Teil der Einspruchsentscheidung abgewiesen hat. Denn der Kläger hat den Umsatzsteuerjahresbescheid 2009 vom 22.12.2010 nicht mit einem Einspruch angefochten, so dass die Einspruchsentscheidung insoweit nicht ergehen durfte. Im Übrigen ist die Revision unbegründet und zurückzuweisen.


Der Kläger hat mit seinem Schreiben vom 4.1.2011 ausschließlich einen Einspruch im Sinne des § 347 Abs. 1 Satz 1 AO gegen die Ablehnung des Antrags auf Erlass eines Vorauszahlungsbescheides für Oktober 2009 eingelegt, der auch im Wege der Auslegung nicht als Einspruch gegen den Umsatzsteuerjahresbescheid 2009 vom 22.12.2010 angesehen werden kann.

Außerprozessuale Rechtsbehelfe sind mit dem Ziel auszulegen, den wirklichen Willen des Erklärenden zu erforschen (§ 133 BGB). Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, dass der Steuerpflichtige denjenigen Verwaltungsakt anfechten will, der angefochten werden muss, um zu dem erkennbar angestrebten Erfolg zu kommen. Dies gilt grundsätzlich auch für Erklärungen rechtskundiger Personen (vgl. BFH v. 14.6.2016, IX R 11/15, BFH/ NV 2016, 2550; v. 15.12.2021, III R 34/20, BFH/NV 2022, 705; v. 15.2.2023, VI R 13/21, BFHE 279, 28). Die Auslegung darf jedoch nicht zur Annahme eines Erklärungsinhalts führen, für den sich in der Erklärung selbst keine Anhaltspunkte finden lassen. Eine derartige Korrektur der Erklärung kann auch mit dem Grundsatz der rechtsschutzgewährenden Auslegung nicht gerechtfertigt werden (vgl. BFH v. 28.11.2018, I R 61/16, BFH/NV 2019, 898; v. 29.10.2019, IX R 4/19, BStBl II 2020, 368).


Ein von einem fachkundigen Bevollmächtigten eingelegter Einspruch, der die angefochtenen Bescheide eindeutig und abschließend bezeichnet, ist nicht dahingehend auslegungsfähig, dass auch ein weiterer, im Einspruchsschreiben nicht benannter, Steuerbescheid angefochten werden soll (vgl. BFH v. 28.11.2018, I R 61/16, BFH/NV 2019, 898). Der Einspruch bezieht sich im vorliegenden Fall nicht auf den Umsatzsteuerjahresbescheid 2009. Er ist dahingehend weder auslegungsbedürftig noch auslegungsfähig. Der von einer Steuerberaterin verfasste Einspruch benennt ausdrücklich nur den Bescheid über die Ablehnung des Antrags auf Festsetzung der Festsetzung der Umsatzsteuersteuer-Vorauszahlung für den Monat Oktober 2009 (Ablehnungsbescheid) als Einspruchsgegenstand. Anhaltspunkte dafür, dass zusätzlich zu dem ausdrücklich benannten Ablehnungsbescheid auch noch der Umsatzsteuerjahresbescheid 2009 angefochten werden sollte, sind dem Einspruchsschreiben nicht zu entnehmen.

Beratungshinweis:


Der heutige Besprechungsfall zum Verfahrensrecht behandelt die formal ordnungsgemäße Einlegung eines Einspruchs. Die Entscheidung macht erneut deutlich, wie wichtig ein präziser und umfassend formulierter Rechtsbehelf - insbesondere durch einen steuerlichen Berater - ist. Neben diesem verfahrensrechtlichen Aspekt fällt einmal mehr die überlange Verfahrensdauer von über 10 Jahren (ohne Revisionsverfahren) auf, die aus rechtsstaatlichen Gesichtspunkten sehr bedenklich ist.


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Der Autor: Dr. Alexander Kersten - Rechtsanwalt, Steuerberater und geschäftsführender Partner bei STEIN Rechtsanwälte Steuerberater in Köln. Der Beitrag wurde mit freundlicher Genehmigung des Stollfuß Verlags – Zweigniederlassung der Lefebvre Sarrut GmbH – zur Verfügung gestellt. Der Beitrag wurde im Newsletter eNews Steuern, Nr. 06/2024 vom 14.02.2024 veröffentlicht.