Verfassungsmäßigkeit von Säumniszuschlägen

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Nach der am 30.3.2023 veröffentlichten Entscheidung des BFH vom 15.11.2022, VII R 55/20 bestehen gegen die Höhe des Säumniszuschlags nach § 240 Abs. 1 Satz 1 AO auch bei einem strukturellen Niedrigzinsniveau keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

Sachverhalt

Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen des Z und bestreitet die vom FA zur Insolvenztabelle angemeldeten Abgabenforderungen, u.a. auch Säumniszuschläge für den Zeitraum März 2015 bis April 2016. Mit Schreiben vom 7.9.2017 erließ das FA die Hälfte der zur Insolvenztabelle angemeldeten Säumniszuschläge. Da der Kläger die Forderungsanmeldung weiterhin bestritt, stellte das FA mit Feststellungsbescheid gem. § 251 Abs. 3 AO vom 13.11.2017 Insolvenzforderungen in Höhe von insgesamt 28.005 EUR fest. Darin waren auch die Säumniszuschläge in Höhe von (nunmehr) insgesamt 576,50 EUR enthalten.

Der gegen den Feststellungsbescheid gerichtete Einspruch des Klägers blieb ebenso wie Klage vor dem Finanzgericht erfolglos. Das FG entschied, dass die Säumniszuschläge hinsichtlich eines möglichen Zinsanteils weder ganz noch teilweise gegen das Verfassungsrecht verstießen. Denn selbst wenn der Säumniszuschlag auch eine Zinsfunktion habe, lasse sich kein „fester“ und damit typisierter Zinssatz ermitteln, der am Maßstab eines Marktzinses gemessen werden könnte (FG Hamburg vom 1.10.2020, 2 K 11/18).

Hiergegen wendet sich die Revision des Klägers. Nach seiner Auffassung überschreite die Höhe der Säumniszuschläge angesichts der eingetretenen strukturellen und nachhaltigen Verfestigung des niedrigen Marktzinsniveaus den angemessenen Rahmen der wirtschaftlichen Realität in erheblichem Maße und sei damit mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet, da nach Ansicht des erkennenden VII. Senats gegen die Höhe der Säumniszuschläge keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen. Die vom BVerfG in seinem Beschluss vom 8.7.2021 (1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17, BGBl. I 2021, 4303, NJW 2021, 3309) herausgearbeiteten Grundsätze, nach denen die Verzinsung nach §§ 233a, 238 AO in Höhe von 0,5 % pro Monat für Verzinsungszeiträume ab dem 1.1.2014 mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar ist, lassen sich nicht auf Säumniszuschläge übertragen (vgl. BFH v. 28.10.2022, VI B 15/22 (AdV), zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, BStBl II 2023, 12; a.A. BFH v. 11.11.2022, VIII B 64/22 (AdV), zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt).

Hinsichtlich der Säumniszuschläge fehlt es bereits an einer Ungleichbehandlung vergleichbarer Sachverhalte; eine Ungleichbehandlung zwischen zinszahlungspflichtigen Steuernachzahlern und säumniszuschlagszahlungspflichtigen Steuerpflichtigen ist mangels vergleichbarer Sachverhalte nicht gegeben. Die nach § 233a AO geregelte Vollverzinsung soll stark typisierend objektive Zins- und Liquiditätsvorteile erfassen, die dadurch entstehen, dass zwischen der Entstehung des Steueranspruchs und seiner Fälligkeit nach Festsetzung ein Zeitraum von mehreren Jahren liegen kann. Nachzahlungszinsen sind dementsprechend weder Sanktion noch Druckmittel, sondern ein Ausgleich für die Kapitalnutzung. Die Vollverzinsung hat keine zusätzliche Lenkungsfunktion dahingehend, die Steuerpflichtigen dazu anzuhalten, ihre Steuererklärungen frühzeitig abzugeben oder etwaige Vorauszahlungen angemessen anzusetzen (vgl. BVerfG v. 8.7.2021, a.a.O.). Die Regelung wirkt sowohl zugunsten (im Fall der Steuererstattung) als auch zuungunsten (im Fall der Steuernachforderung) der Steuerpflichtigen. Darauf, ob sie tatsächlich einen Zinsvorteil oder -nachteil durch die späte Steuerfestsetzung erzielt haben, kommt es nicht an.

Anders verhält es sich hingegen im Hinblick auf die verschiedenen Funktionen der Säumniszuschläge. Der im Vergleich zu den Zinsen doppelt so hohe Säumniszuschlag ist in erster Linie ein Druckmittel eigener Art zur Durchsetzung fälliger Steuern und erfüllt primär eine pönale Funktion. § 240 AO verfolgt das Ziel, den Bürger zur zeitnahen Erfüllung seiner Zahlungsverpflichtungen anzuhalten und die Verletzung eben jener Verpflichtung zu sanktionieren. Daneben ist der Säumniszuschlag Gegenleistung bzw. Ausgleich für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern und dient letztlich auch dem Zweck, den Verwaltungsaufwand der Finanzbehörden auszugleichen (vgl. BFH v. 29.8.1991, V R 78/86, BStBl. II 1991, 906 m.w.N.; v. 30.3.2006, V R 2/04, BStBl II 2006, 612 m.w.N.; v. 2.3.2017, II B 33/16, BStBl II 2017, 646). Die Abschöpfung von Liquiditätsvorteilen ist damit nicht Haupt-, sondern nur Nebenzweck der Regelung. Die Ausführungen des BVerfG, mit denen es eine Erstreckung der Unvereinbarkeitserklärung auf die anderen Verzinsungstatbestände, namentlich auf Stundungs-, Hinterziehungs- und Aussetzungszinsen nach den §§ 234, 235 und 237 AO, abgelehnt hat, lassen sich zudem auch auf Säumniszuschläge nach § 240 AO übertragen.

Die Höhe des Säumniszuschlags verletzt ferner nicht das Rechtsstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 3 GG wegen eines Verstoßes gegen das Übermaßverbot. Außerdem ist die Höhe des Säumniszuschlags auch in einer Niedrigzinsphase durch den vom Gesetzgeber intendierten Zweck der Norm gedeckt.

Hinweis

Die heutige Besprechungsentscheidung behandelt erneut die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Säumniszuschläge nach § 240 AO. Auch der VII. Senat des BFH sieht ebenso wie der VI. Senat (Beschluss v. 28.10.2022, VI B 15/22) hier keine ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlich festgelegten Höhe der Säumniszuschläge. Anders entschieden bisher der V. Senat (Beschluss v. 23.5.2022, V B 4/22) und der VII. Senat (Beschluss v. 11.11.2022, VIII B 64/22). Die bisherigen Entscheidungen des BFH fielen allerdings allesamt im Rahmen von vorläufigen Rechtsschutzverfahren (AdV-Verfahren), so dass die vorliegende Entscheidung erstmals in der Hauptsache erfolgte. Es bleibt mit Spannung abzuwarten, ob sich die unterschiedliche Sichtweise der Senate des BFH in Zukunft vereinheitlicht.

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Der Autor: Dr. Alexander Kersten - Rechtsanwalt, Steuerberater und geschäftsführender Partner bei STEIN Rechtsanwälte Steuerberater in Köln

Der Beitrag wurde mit freundlicher Genehmigung des Stollfuß Verlags – Zweigniederlassung der Lefebvre Sarrut GmbH – zur Verfügung gestellt. Der Beitrag wurde im Newsletter eNews Steuern, Nr. 13/2023 vom 03.04.2023 veröffentlicht.