Keine grenzüberschreitende Verlustverrechnung ohne tatsächliche Verlusttragung durch eine inländische Muttergesellschaft

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Nach der am 14.12.2023 veröffentlichten Entscheidung des BFH vom 9.8.2023, I R 26/19, setzt eine grenzüberschreitende Verrechnung von Verlusten einer ausländischen Tochtergesellschaft bei der inländischen Muttergesellschaft voraus, dass die „Organschaft“ zuvor in dem Sinne faktisch gelebt worden ist, dass die von der Tochtergesellschaft erwirtschafteten Verluste von der Muttergesellschaft nach den Vorgaben der anzuwendenden nationalen Regelungen tatsächlich getragen worden sind.

Sachverhalt

Die Klägerin ist eine GmbH mit Sitz im Inland. Sie war alleinige Gesellschafterin der X s.a.r.l. (s.a.r.l.) mit Sitz in Frankreich. Die s.a.r.l. erzielte seit Jahren Verluste, so dass bereits im Jahr 2011 entschieden wurde, den Geschäftsbetrieb der s.a.r.l. einzustellen. Die Klägerin hatte die s.a.r.l. bis zur tatsächlichen Einstellung des aktiven Geschäftsbetriebes mit Waren beliefert. Zu den Forderungen aus den Warenlieferungen ergriff die Klägerin keine Beitreibungsmaßnahmen gegenüber der s.a.r.l., obwohl diese keine Zahlungen leistete. Allerdings nahm die Klägerin Wertberichtigungen auf die Forderungen vor. Auch in den Jahren 2011 und 2012 lieferte die Klägerin noch Waren an die s.a.r.l.; die Forderungen wurden von der Klägerin zum jeweiligen Jahresende mit derselben Begründung in voller Höhe abgeschrieben.

In ihrer Körperschaft- und Gewerbesteuererklärung für das Streitjahr 2012 hatte die Klägerin eine Verrechnung des von der s.a.r.l. in diesem Jahr erwirtschafteten Verlustes vorgenommen. Diesen berücksichtigte das Finanzamt in den am 27.3.2014 ergangenen Bescheiden über die Körperschaftsteuer 2012 und den Gewerbesteuermessbetrag 2012 nicht, da die Verrechnung der Verluste der s.a.r.l. auf Ebene der Klägerin weder nach nationalem Recht noch nach Unionsrecht in Betracht komme. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg (Urteil des Schleswig-Holsteinischen FG v. 13.3.2019, 1 K 218/15, EFG 2019, 1466). Hiergegen wendet sich die Revision der Klägerin.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

Entgegen der Auffassung der Klägerin können die "kumulierten operativen Verluste“ der s.a.r.l. bestehend aus dem laufenden Verlust des Streitjahres und dem Verlustvortrag auf den 31.12.2011 weder vollständig noch teilweise auf der Grundlage einer unionsrechtskonformen Auslegung der §§ 14 ff. KStG im Inland abgezogen werden. Nach den Feststellungen des FG war zwischen der Klägerin, die unstreitig in den persönlichen Anwendungsbereich des § 14 Abs. 1 KStG fällt, und der s.a.r.l., die nach nationalem Recht keine taugliche Organgesellschaft ist, weil sie weder über eine inländische Ge-schäftsleitung noch über einen Sitz im Inland verfügte, keine Vereinbarung über eine Gewinnabführung (Verlustübernahme) abgeschlossen worden.

Der erkennende Senat hatte bislang keinen Anlass, abschließend zu den Voraussetzungen für eine Verlustverrechnung „über die Grenze“ bei einer in einem Mitgliedstaat der EU ansässigen (verlusterzielenden) Tochtergesellschaft und einer im Inland ansässigen Muttergesellschaft zu entscheiden. Auch im vorliegenden Streitfall war nicht abschließend darüber zu entscheiden. Denn auch der von der Klägerin angeführten Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache Marks & Spencer vom 13.12.2005 (C-446/03, EU:C:2005:763) sowie den in der Folge ergangenen EuGH-Entscheidungen lässt sich bei einer Übertragung auf die nationalen Organschaftsregelungen (vgl. Maack/Kersten, DStR 2019, 2281 ff.) jedenfalls nicht entnehmen, dass die begehrte Verlustverrechnung ohne eine zumindest „faktisch gelebte Organschaft“ möglich sein könnte, das heißt, ohne dass die von der ausländischen Tochtergesellschaft jährlich erwirtschafteten Verluste von der inländischen Muttergesellschaft nach den Vorgaben der anzuwendenden nationalen Regelungen tatsächlich getragen worden sind. Diese Grundvoraussetzung lag im Streitfall nicht vor. Dass die Verluste wirtschaftlich bereits in früheren Jahren entstanden und im Falle einer Organschaft im Sinne von §§ 14 ff. KStG bei der Muttergesellschaft hätten verrechnet werden können, ändert daran nichts, weil ein solches „gedachtes“ Organschaftsverhältnis im Streitfall tatsächlich nicht vereinbart und praktiziert worden sei und das Besteuerungsrecht für die - im Ausland unbeschränkt steuerpflichtigen - Auslandsgesellschaften im Ausland lag. Es ist ausgeschlossen, dass Unternehmen eines grenzüberschreitenden Verbunds unter Berufung auf die unionsrechtlichen Grundfreiheiten nachträglich einzelne für sie vorteilhafte Elemente der Organschaftsbesteuerung (hier: Verlustverrechnung) für sich in Anspruch nehmen können, ohne dass sie im relevanten Zeitraum zumindest den Willen bekundet haben, eine Organschaft bilden zu wollen, und ohne dass sie zumindest versucht haben, die für die steuerliche Anerkennung der Organschaft im Inlandsfall erforderlichen Voraussetzungen tatsächlich zu schaffen (s. bereits Senatsurteil v. 7.12.2011, I R 30/08, BStBl II 2012, 507).

Beratungshinweis

Diese Besprechungsentscheidung zur Körperschaftsteuer behandelt das Thema der grenzüberschreitenden Verlustverrechnung im Konzern ohne Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 14 ff. KStG, insbesondere ohne tatsächliche Verlusttragung durch die inländische Muttergesellschaft.

Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG setzt die Berücksichtigung der Verluste einer Tochtergesellschaft auf der Ebene der Muttergesellschaft ein zwischen beiden Unternehmen bestehendes Organschaftsverhältnis voraus. Dazu muss sich eine Europäische Gesellschaft, Aktiengesellschaft oder Kommanditgesellschaft auf Aktien mit Geschäftsleitung und Sitz im Inland (Organgesellschaft) durch einen Gewinnabführungsvertrag im Sinne des § 291 Abs. 1 AktG verpflichten, ihren ganzen Gewinn an ein einziges anderes gewerbliches Unternehmen abzuführen, für das in § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 KStG weitere Voraussetzungen normiert sind (Organträger). Für andere als die in § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG genannten Kapitalgesellschaften - insbesondere für GmbH - sieht § 17 KStG für die Begründung einer Organschaft modifizierte Anforderungen vor (vgl. auch Senatsurteil v. 10.5.2017, I R 93/15, BStBl II 2019, 278), die aber jedenfalls eine wirksame Verpflichtung zur Gewinnabführung an ein anderes Unternehmen und eine Vereinbarung über eine Verlustübernahme entsprechend den Vorschriften des § 302 AktG erfordern. Nach § 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG gelten diese Voraussetzungen auch für die gewerbesteuerrechtliche Organschaft. Diese Voraussetzungen lagen im Streitfall nicht vor.

Diese vorliegende Entscheidung des I. Senats des BFH entsprechend dem nationalen Organschaftskonzept und der Umstand, dass die Klägerin letztlich nicht anders besteuert wird als eine Muttergesellschaft mit einer im Inland ansässigen abhängigen Kapitalgesellschaft, mit der eine Ergebnisabführung nicht vereinbart worden ist, weshalb es an einer Ungleichbehandlung fehlt, nötigte nach Maßgabe der Rechtsprechung des EuGH (Urteil CILFIT v. 6.10.1982, Rs. 283/81, EU:C:1982:335) den Senat nicht zu einer Vorlage im Sinne des Art. 267 AEUV an den EuGH wegen unionsrechtlicher Zweifel an dem nationalen Tatbestandserfordernis des Gewinnabführungsvertrags in § 14 Abs. 1 KStG. Eine Vorlage hätte nur dann erforderlich sein können, wenn es vor der Geschäftseinstellung der s.a.r.l. zumindest tatsächlich - oder auf Grundlage einer schuldrechtlichen Vereinbarung - zu einer Übernahme der jährlichen Verluste der s.a.r.l. gekommen wäre. Erst dann hätte sich auch die Frage gestellt, ob und inwieweit das zu ausländischen Betriebsstätten ergangene EuGH-Urteil W vom 22.9.2022 (C-538/20, EU:C:2022:717) auf die hier einschlägige Konstellation einer ausländischen Tochtergesellschaft übertragbar ist.

Der Autor: Dr. Alexander Kersten - Rechtsanwalt, Steuerberater und geschäftsführender Partner bei STEIN Rechtsanwälte Steuerberater in Köln

Der Beitrag wurde mit freundlicher Genehmigung des Stollfuß Verlags – Zweigniederlassung der Lefebvre Sarrut GmbH – zur Verfügung gestellt. Der Beitrag wurde im Newsletter eNews Steuern, Nr. 50/2023 vom 19.12.2023 veröffentlicht.