Erzwingung der Zeiterfassung durch den Betriebsrat

Am 27.07.2021 ist vor dem Landesarbeitsgericht Hamm ein spannendes Urteil (Az.: 7 TaBV 79/20) im Zuge einer Streitigkeit über die Arbeitszeiterfassung von Arbeitnehmer*innen ergangen. Das Landesarbeitsgericht Hamm entschied hierbei, dass Betriebsräte vom Arbeitgeber für alle Arbeitnehmer*innen ein elektronisches Zeiterfassungssystem verlangen dürfen.

Hintergrund:

Bereits seit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 14.05.2019, Rs. C-55/18 - CCOO gegen Deutsche Bank SAE) vor über zwei Jahren ist die Arbeitszeiterfassung regelmäßig Gegenstand der rechtlichen Diskussion. Denn der EuGH gab vor, dass Arbeitgeber die Arbeitszeit der Arbeitnehmer*innen systematisch und lückenlos erfassen müssen. Wie die Arbeitszeit erfasst wer-den soll, hat der EuGH zwar den Mitgliedsstaaten überlassen, allerdings muss das Zeiterfassungssystem manipulations- und beweissicher sein. Es ist daher höchst ungewiss, ob bspw. das bloße Aufschreiben der Stunden durch die Arbeitnehmer*innen diese Anforderungen überhaupt erfüllen kann. Deutschland hat das Urteil bisher noch nicht umgesetzt.

Sachverhalt:

In dem der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hamm zugrundeliegenden Fall führte der Betriebsrat mit dem Arbeitgeber Verhandlungen über eine Betriebsvereinbarung mit dem Ziel, eine elektronische Arbeitszeiterfassung einzuführen. Eine Einigung mit dem Arbeitgeber konnte hierbei aber nicht erzielt werden. Der Arbeitgeber entschloss sich vielmehr, auf die Einführung einer elektronischen Zeiterfassung zu verzichten. Nach Abbruch der Verhandlungen leitete der Betriebsrat daher das gerichtliche Verfahren ein.

Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hamm:

Grundlage der gerichtlichen Entscheidung, dass Betriebsräte vom Arbeitgeber für alle Arbeitnehmer*innen ein elektronisches Zeiterfassungssystem verlangen dürfen, sei das Initiativrecht des Betriebsrats gem. § 86 Abs. 1 Nr. 6 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) bei technischen Kontrolleinrichtungen. Denn ein Zeiterfassungssystem sei durch die Erfassung von Komm- und Gehzeiten von Arbeitnehmer*innen technisch zumindest geeignet, die Leistung und das Verhalten der Arbeitnehmer*innen zu kontrollieren.

Das Landesarbeitsgericht Hamm erkennt, dass mit einer solchen Kontrolle zwar auch ein Eingriff in den Persönlichkeitsbereich der Arbeitnehmer*innen einhergeht, sodass sich auch gute Argumente dafür finden lassen würden, dass der Regelung des § 86 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG nur eine Abwehrfunktion und gerade keine Initiativfunktion zukommt. Diese Argumente ließen sich aber mithilfe der Systematik entkräften. Denn der Gesetzgeber habe beim BetrVG ausdrücklich keine Aufspaltung der Mitbestimmungsrechte in solche mit und ohne Initiativrecht vorgenommen.

Das Landesarbeitsgericht hat im vorliegenden Fall die Revision zugelassen. Abzuwarten bleibt, ob das Bundesarbeitsgericht das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm bestätigt und damit – vor einem Tätigwerden des Gesetzgebers – den Rechtsrahmen für die Arbeitszeiterfassung auf der Grundlage der EuGH-Rechtsprechung fortentwickelt.

Beratungshinweis:

Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hamm macht deutlich, dass viele Arbeitgeber trotz der Vorgaben des EuGH die Arbeitszeiterfassung noch nicht durch eine elektronische Zeiterfassung organisiert haben.

Bedeutung kann ein solches elektronische Zeiterfassungssystem für Arbeitgeber*innen vor allem im Hinblick auf die zu zahlende Vergütung erlangen. Denn nicht jede Überstunde muss vergütet oder in Freizeit ausgeglichen werden. Das hängt maßgeblich von der arbeitsvertraglichen Gestaltung dieser Bereiche ab, welche daher zukünftig elementarer werden wird.

Bei Fragen zu dieser Entscheidung oder anderen arbeitsrechtlichen Themen sprechen Sie uns gerne an.

Dr. Alexander Kersten