Cum/Ex-Geschäfte: Auch der Bundesfinanzhof erteilt den Modellen eine Absage!

Nach der am 15.3.2022 veröffentlichten Entscheidung des BFH v. 2.2.2022, I R 22/20 hat ein US-amerikanischer Pensionsfonds i. S. d. Art. 10 Abs. 3 Buchst. b DBA-USA 1998/2008 nur dann einen Anspruch auf Erstattung von Abzugsteuern (Kapitalertragsteuer, Solidaritätszuschlag) gemäß § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG, wenn er nach Maßgabe nationalen Steuerrechts Gläubiger der Kapitalerträge ist und die Abzugsteuern „einbehalten und abgeführt“ worden sind. Gläubiger der Kapitalerträge ist die Person, die die Einkünfte aus Kapitalvermögen (als Dividenden i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG oder als Dividendenkompensationszahlungen i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4 EStG) erzielt (§ 20 Abs. 5 EStG). Dies ist die Person, der die Anteile an dem Kapitalvermögen im Zeitpunkt des Gewinnverteilungsbeschlusses (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG) oder des Zuflusses der Dividendenkompensationszahlung (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4 EStG) nach § 39 Abs. 1 AO zivilrechtlich oder – wenn ein anderer als der Eigentümer die tatsächliche Herrschaft über die Anteile hat – nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO wirtschaftlich zuzurechnen sind. Wirtschaftliches Eigentum über die Anteile wird bei sog. Cum/Ex-Geschäften nicht erworben, wenn der Erwerb der Aktien Teil eines modellhaft aufgelegten Gesamtvertragskonzepts ist, nach welchem der zivilrechtliche Erwerber die wesentlichen mit einem Aktienerwerb verbundenen Rechte weder ausüben kann noch nach der gestalterischen Konzeption soll, er vielmehr nur die Funktion hat, seine Rechtsform in den Geschäftsablauf einzubringen und angesichts der umfassenden Kontrolle jedes Geschäftsdetails durch Dritte lediglich als „passiver Teilnehmer“ („Transaktionsvehikel“) im Geschäftsablauf anzusehen ist.

Sachverhalt:

Der Kläger ist ein US-amerikanischer Pensionsfonds, der zeitgleich mit zwei weiteren US-amerikanischen Pensionsfonds Anfang 2011 gegründet wurde. Der Kläger war – wie die beiden anderen Fonds – zu einem Drittel Kommanditist einer Anfang 2011 nach dem Recht von Gibraltar gegründeten Personengesellschaft B. Der Kläger war wie die anderen Kommanditisten von der Geschäftsführung ausgeschlossen. Sämtliche Entscheidungen wurden von dem Gesellschafter mit unbeschränkter Haftung (= General Partner) getroffen. Die für Zwecke der Besteuerung als transparent anzusehende B führte für den Kläger unter Beteiligung zahlreicher weiterer Gesellschaften und Banken umfangreiche Aktientransaktionen (Cum-Ex-Geschäfte) durch (vgl. hierzu Schaubild in EFG 2020, 367, 368). Alle Aktien deutscher Aktiengesellschaften wurden als sog. Futures vor oder am Dividendenstichtag mit Dividendenberechtigung („cum“) gekauft, aber erst nach dem Dividendenstichtag ohne Dividende („ex“) – verbunden mit einer sog. Dividendenkompensationszahlung – geliefert.

Am 19.7.2011 beantragte der Kläger die Erstattung von Kapitalertragsteuer zuzüglich Solidaritätszuschlag unter Hinweis auf § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG und Art. 10 Abs. 3 Buchst. b des Doppelbesteuerungsabkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den USA vom 29.8.1989 (BStBl I 1991, 95). Zuvor hatte die am Geschäft beteiligte R-Bank aus Deutschland als Verwahrstelle der Aktien die entsprechenden Gutschriftsanzeigen und Dividendenabrechnungen (Credit Advices) der jeweils aus den Aktiengeschäften erzielten Dividendenerträge unter Angabe von Abzugsteuern (Kapitalertragsteuer, Solidaritätszuschlag) ausgestellt. Darin sind die gutgeschriebenen Beträge in Höhe der Netto-Dividende, die Brutto-Dividende sowie die rechnerisch darauf entfallenden Beträge Kapitalertragsteuer/Solidaritätszuschlag ausgewiesen.

Das zuständige BZSt lehnte die Erstattung ab. Auch die anschließende Klage beim Finanzgericht Köln blieb erfolglos (FG Köln v. 19.7.2019, 2 K 2672/17, EFG 2020, 367). Hiergegen wendet sich die Revision des Klägers.

Entscheidungsgründe:

Die Revision ist unbegründet.

Nach § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG setzt die Erstattung von Kapitalertragsteuer – neben dem Umstand der Einbehaltung und Abführung – voraus, dass der Antragsteller der Gläubiger der Kapitalerträge ist (z. B. Senatsurteile v. 24.8.2011, I R 85/10, BFH/NV 2012, 559; v. 26.6.2013, I R 48/12, BStBl II 2014, 367). Denn die Erstattungsberechtigung beruht darauf, dass der Steuerabzug wegen der spezifischen Regelungen des Doppelbesteuerungsabkommens (z. B. einer abkommensrechtlichen Steuerfreistellung für Dividenden eines US-amerikanischen Pensionsfonds nach Art. 10 Abs. 3 Buchst. b DBA-USA 1989/2008) in materieller Hinsicht ohne rechtlichen Grund vorgenommen worden ist (Senatsurteile v. 20.6.1984, I R 283/81, BStBl II 1984, 828; v. 12.10.1995, I R 39/95, BStBl II 1996, 87; v. 28.6.2006, I R 47/05, BFH/NV 2007, 2). Es muss sich damit um eine Abzugsteuer handeln, die für Rechnung des abkommensrechtlich geschützten Gläubigers der Kapitalerträge einbehalten und abgeführt worden ist. Diese Voraussetzung ist im Streitfall nicht erfüllt. Denn wenn der Anspruch auf Erstattung dem Gläubiger der Kapitalerträge zusteht, ist – insoweit unabhängig von einer eventuell abweichenden zivilrechtlichen Zuordnung – die Person des Steuerschuldners angesprochen, d. h. die Rechtsperson, der die Kapitalerträge (z. B. aus dem konkreten Kapitalüberlassungsverhältnis) ertragsteuerrechtlich zuzurechnen sind. Diese Zurechnung richtet sich ungeachtet des ausländischen Sitzes des Klägers nach den Maßgaben des nationalen Steuerrechts.

„Dividenden-Gläubiger“ – und damit Zurechnungssubjekt entsprechender Einkünfte – ist nach Maßgabe des § 20 Abs. 5 Satz 1 EStG der Anteilseigner. Anteilseigner ist derjenige, dem nach § 39 AO die Anteile an dem Kapitalvermögen i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG im Zeitpunkt des Gewinnverteilungsbeschlusses zuzurechnen sind (§ 20 Abs. 5 Satz 2 EStG). Darüber hinaus „gelten (als sonstige Bezüge) auch Einnahmen, die anstelle der Bezüge im Sinne des Satzes 1 von einem anderen als dem Anteilseigner nach Absatz 5 bezogen werden, wenn die Aktien mit Dividendenberechtigung erworben, aber ohne Dividendenanspruch geliefert werden“ (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4 EStG).

§ 39 Abs. 1 AO sieht vor, dass Wirtschaftsgüter (z. B. die in § 20 Abs. 5 EStG angeführten „Anteile an dem Kapitalvermögen“) dem Eigentümer zuzurechnen sind. Allerdings findet abweichend von diesem Grundsatz eine anderweitige Zurechnung statt (§ 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO), wenn „ein anderer als der Eigentümer die tatsächliche Herrschaft über ein Wirtschaftsgut in der Weise aus(übt), dass er den Eigentümer im Regelfall für die gewöhnliche Nutzungsdauer von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut wirtschaftlich ausschließen kann“ (sog. wirtschaftlicher Eigentümer).

Kein zivilrechtliches Eigentum

Der Erwerb der Future-Kontrakte (gerichtet auf die Lieferung von Aktien) vor dem jeweiligen Dividendenstichtag konnte dem Kläger – vermittelt durch seine Beteiligung an der zu Ertragsteuerzwecken transparenten B – kein zivilrechtliches Eigentum an den Aktien zum Dividendenstichtag verschaffen, da die mit schuldrechtlichem Vertrag erworbenen Aktien seinem Depotkonto noch nicht gutgeschrieben waren. Alle Aktien aus den streitgegenständlichen Aktienkäufen wurden dem Konto des Klägers bei seiner Depotbank erst nach dem Dividendenstichtag gutgeschrieben.

Kein wirtschaftliches Eigentum

Der Kläger war zum Dividendenstichtag auch kein wirtschaftlicher Eigentümer. Nach ständiger Rechtsprechung kommt eine Zuordnung nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO nur dann in Betracht, wenn nach dem Gesamtbild der Verhältnisse ein anderer als der zivilrechtliche Eigentümer die tatsächliche Herrschaft ausübt und den nach bürgerlichem Recht Berechtigten von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut in der Weise ausschließen kann, dass der Herausgabeanspruch des zivilrechtlichen Eigentümers keine wirtschaftliche Bedeutung mehr hat (vgl. BFH v. 22.11.1996, VI R 77/95, BStBl II 1997, 208). Der Norm lässt sich als Leitprinzip entnehmen, dass es auf eine „wirtschaftliche Dispositionsbefugnis“ ankommt, weil sie die Herrschaft über die Leistungsbeziehung (als Grundlage der Einkünfteerzielung) ermöglicht. Diese Dispositionsbefugnis (die sich für die Zurechnung von Wirtschaftsgütern auf die nutzungsrelevante Lebensdauer des Wirtschaftsgutes bezieht) gehört grundsätzlich zur Rechtssphäre des zivilrechtlichen Eigentümers (sie ist in der Regel Ausfluss der Sachherrschaft), sie kann aber auch einer anderen Person zustehen.

Bei Aktiengeschäften erlangt der Erwerber nach der Rechtsprechung des BFH wirtschaftliches Eigentum im Allgemeinen erst ab dem Zeitpunkt, von dem an er nach dem Willen der Vertragspartner über die Wertpapiere verfügen kann. Es geht darum, ob er eine rechtlich geschützte, auf den Erwerb des Rechts gerichtete Position erworben hat, die ihm gegen seinen Willen nicht mehr entzogen werden kann, und dass die mit dem Anteil verbundenen wesentlichen (Verwaltungs- und Vermögens-)Rechte (insbesondere Gewinnbezugs- und Stimmrecht) sowie die mit Wertpapieren gemeinhin verbundenen Kursrisiken und -chancen auf ihn übergegangen sind (z. B. Beschluss des Großen Senats des BFH v. 29.11.1982, GrS 1/81, BStBl II 1983, 272). Dabei kommt es bei einem solchen Gesamtvertragskonzept wie vorliegend nicht darauf an, wie einzelne Teilkomponenten steuerrechtlich zu bewerten sind; vielmehr sind bei einem auf einer einheitlichen Planung der Beteiligten beruhenden Gestaltungskonzept die einzelnen Verträge für die steuerrechtliche Beurteilung zusammenfassend zu betrachten (BFH v. 27.10.2005, IX R 76/03, BStBl II 2006, 359; BMF-Schreiben in BStBl I 2021, 1002, Rn. 16).

Der Streitfall ist nach der Würdigung des vorinstanzlichen FG dadurch gekennzeichnet, dass der Kläger durch die vertraglichen Vereinbarungen von einer „tatsächlichen Herrschaft ...“ über die Aktien sowohl im Zeitpunkt des Vertragsschlusses zum Erwerb von Aktien als auch für einen späteren Zeitpunkt ausgeschlossen war; denn er wurde konzeptionell von einem Einfluss auf die Wertpapiergeschäfte ferngehalten und sollte auch nicht direkt an dem Geschäftserfolg beteiligt sein, sondern im Ergebnis nur für seine gestaltungsermöglichende Existenz als Rechtsperson vergütet werden. Auf dieser Grundlage hatte der Kläger zu keiner Zeit eine irgendwie geartete (bruchteilsbezogene) Herrschaft über die Aktien, da er die mit dem Innehaben von Wertpapieren verbundenen Rechte weder vor noch nach dem Dividendenstichtag offenkundig in nennenswerter Weise ausüben konnte, noch nach der gestalterischen Konzeption auch sollte. Vielmehr hatte er nach der modellhaften Gesamtkonzeption der vereinbarten geschäftlichen Abläufe nur die Funktion, seine (aufgrund Abkommensrechts gestaltungsermöglichende) Rechtsform in den Geschäftsablauf einzubringen und war angesichts der umfassenden Kontrolle jedes Geschäftsdetails durch Dritte lediglich „passiver Teilnehmer“ und durch das Bereitstellen seiner Rechtshülle „bloßes Transaktionsvehikel“. Wenn aber die wirtschaftliche Wirkung der Geschäfte nicht ihm selbst zukommt, weil sie dem absprachegebundenen Kreis der übrigen Parteien gebührt, ist es auch ausgeschlossen, ihn als wirtschaftlichen Inhaber der Rechtsstellung aus einem Aktienerwerb anzusehen.

Vorlage einer Bankbescheinigung reicht nicht aus

Ein Erstattungsanspruch des Klägers bezogen auf eine „einbehaltene und abgeführte Steuer“ kann darüber hinaus nicht schon damit begründet werden, dass mit dem Erstattungsantrag eine durch die Depotbank des Klägers ausgestellte Bank-Bescheinigung (Credit Advice) vorgelegt wurde, die neben der Netto-Dividende auch Kapitalertragsteuer- und Solidaritätszuschlagsbeträge ausweist. Denn diese Bescheinigung (§ 45a Abs. 3 Satz 2 EStG) kann angesichts der zeitlichen Umstände des (auf den Zeitraum nach dem Dividendenstichtag verzögerten) Erwerbs nicht auf die Abzugsteuer des ausschüttenden Emittenten bezogen werden. Im Übrigen ist es im vorliegenden Fall – so die ausdrückliche Feststellung der Vorinstanz – auch nicht zu einer Einbehaltung von Kapitalertragsteuer gekommen. Die Bescheinigung begründet ebenfalls keinen Beweis für eine tatsächliche Einbehaltung und Abführung der Abzugsteuer für Rechnung des Empfängers der Dividendenkompensationszahlung.

Beratungshinweis:

Mit diesem Grundsatzurteil erteilt nun auch der BFH dem Geschäftskonzept der sog. Cum-Ex-Geschäfte eine Absage, bei dem die Komplexität der eindeutigen wirtschaftlichen Zuordnung von Aktien dazu genutzt wird, ggfs. nur einmal einbehaltene Abzugsteuern vom Fiskus mehrfach angerechnet oder ausgezahlt zu bekommen. Zum Kernproblem der Zuordnungsentscheidung und dem Übergang des wirtschaftlichen Eigentums macht der I. Senat des BFH daher auch umfangreiche Ausführungen und bestätigt im Ergebnis die Entscheidung der Vorinstanz . Auch der Bundesgerichtshof hatte bereits in ähnlichen Fällen auf eine strafbare Steuerhinterziehung erkannt.

Der Autor: Dr. Alexander Kersten - Rechtsanwalt, Steuerberater und geschäftsführender Partner bei STEIN Rechtsanwälte Steuerberater in Köln

Der Beitrag wurde mit freundlicher Genehmigung des Stollfuß Verlags – Zweigniederlassung der Lefebvre Sarrut GmbH – zur Verfügung gestellt. Der Beitrag wurde im Newsletter eNews Steuern, Nr. 11/2022 v. 21.03.2022 veröffentlicht (www.stollfuss.de/newsletter).

Dr. Alexander Kersten